Organisches Bauen
„Wie jedes andere Gebäude sollte eine Schule eine Vorstellung von Leben vermitteln, die dem universalen Prinzip der Demokratie entspricht“ (Scharoun, 1961)
Die Scharounschule in Marl wurde von 1964 bis 1970 gebaut und gilt als Ikone einer organischen und pädagogisch-orientierten Architekt. Zusammen mit der Geschwister-Scholl-Gesamtschule in Lünen gehört die Scharounschule in Marl zu den beiden einzigen Schulen, die nach den Plänen von Haus Scharoun (besser bekannt als Architekt der Berliner Philharmonie) errichtet wurden.
Der Gebäudekomplex zeichnet sich durch eine Anordnung seiner baulichen Elemente aus, die natürlichen Formen nachempfunden sind. Um die Aula und das Foyer als "Raum der Mitte" (Scharoun) gruppieren sich in wabenähnlicher Anordnung 16 eingeschossige sogenannte "Schulwohnungen", zu denen jeweils ein Klassenraum, eine Garderobe, ein Gemeinschaftsraum und ein Freiluftbereich für den Unterricht und Aufenthalt im Freien gehören. Die Prinzipien der organischen Architektur (Scharoun selbst sprach vom "organhaften Bauen") zeigen sich darüber hinaus in der ausgeprägten baulichen Umsetzung unregelmäßiger Formen im Innern, die immer wieder neue und überraschende Perspektiven eröffnen, in der Verwendung überwiegend natürlicher Materialien mit warmen Farbtönen, in der Ausrichtung der Räume zum Licht sowie in der konsequenten Orientierung der Architektur auf das Wohlbefinden und die Bedürfnisse der Lernenden.
„Die Gestalt der Schule will organhaft das Wesen des Schullebens spiegeln. Deshalb kann unser Ordnungsgefüge nicht additiven Prinzips sein (…) Es sind vielmehr die Schulteile Glieder eines Ganzen und sie wirken zusammen, wie Organe im Organismus und Organismen in der Ganzheit zusammenwirken.“
(Aus dem Erläuterungsbericht von Hans Scharoun zum Entwurf für eine Volksschule in Darmstadt 1951, zitiert nach Jost Schäfer: Die Haupt- und Grundschule in Marl von Hans Scharoun. „Organisches Bauen“ in der Nachkriegsmoderne“, in: Denkmalpflege in Westfalen-Lippe, 1/96, S. 24)
„Es fällt (…) auf, dass gerade die Schulwohnungen, aber auch die Werkräume und die Aula („Raum der Mitte“) den Rechten Winkel geradezu vermeiden, wie überhaupt der Entwurf von einer lockeren Asymmetrie bestimmt ist. Dieser „organische“ Zug führt in der Wahrnehmung dazu, die Architektur als etwas Bewegtes aufzunehmen und die Staffelungen von Dächern und ihre linienhaften Grenzen etwa mit dem Auge zu verfolgen. Im Innern der Pausenhalle gibt es keinen auszumachenden Betrachterstandort, von dem aus perspektivisch eindeutig dieser Architekturbereich überschaubar wäre. Ganz im Gegenteil: Scharoun fördert gerade durch Hinter- und Überschneiden von Architekturgliedern, durch Auf und AB von Treppen, durch Verwinkelungen und Öffnungen Assoziationen zu Naturhaftem. In diesem Sinne könnte man diese Architektur verstehen als natursimultan entstanden. „Natur“ selber findet sich tatsächlich auch im Schulgebäude als Aquarien, Voliere im Lichthof und Herbarium“
(Schäfer, Jost: Die Haupt- und Grundschule in Marl von Hans Scharoun. „Organisches bauen“ in der Nachkriegsmoderne“, in: Denkmalpflege in Westfalen-Lippe, 1/96, S. 24)
„Hans Scharoun ist der Meister der Gestaltung von ungewöhnlichen Räumen. Räume öffnen sich. Räume schieben sich ineinander, wie es die Wolken tun. Man kann denken, daß viele Räume zueinander kommen und ineinander gleiten. In eigentümlicher Weise. Entgegen den mitgebrachten Erwartungen überraschen sie. (…) Hans Scharouns Raum-Gestaltung ist eine Variante des fließenden Raumes, dessen klassische Form wir von seinem Kollegen Ludwig Mies van der Rohe kennen. Bei Mies van der Rohe gibt es ein Gefüge, das sich insgeheim, aber nie offen auftretend an der uralten Geometrie orientiert. Bei Scharoun greifen diese insgeheimen Räume ineinander wie im Traum – viele Räume werden zu einem und einer zu vielen – dies arbeitet in einem ständigen Wechselspiel, also in Bewegung“.
(Quelle: www.deutscherwerkbund-nw.de)
Als organische Architektur „werden Richtungen der Architektur seit der Wende zum 20. Jahrhundert zusammengefasst, die die Harmonie von Gebäude und Landschaft, eine den Baumaterialien gemäße, „organisch“ aus der Funktion heraus entwickelte Form sowie eine biologische, psychologische und soziale Zweckmäßigkeit der Architektur anstreben“. Übereinstimmender Grundgedanke war, „nicht Funktion, Materialien und Zweck einem Form- oder Stilwillen zu unterwerfen, sondern die Form aus diesen Bedingungen „erwachsen“ zu lassen. (…) Auf der Suche nach neuen Formen tendierten die Architekturphilosophien letztendlich zu zwei Strömungen: einer mehr rational-geometrischen und einer mehr künstlerisch-skulpturalen.“
(Quelle: www.wikipedia.de)