„Wir dürfen das unermessliche Leid der Opfer nicht vergessen. Und wir schulden es ihnen, dass sich dieser Horror niemals wiederholt – Nie wieder!“ betonte Bürgermeister Werner Arndt. Am Vorabend zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus wurde unter dem Titel „Der Himmel hätte herabfallen sollen“ an die Gräueltaten des Nationalsozialismus und in diesem Jahr insbesondere an die Brutalität und den Horror der Pogromnacht 1938 erinnert.
Auch Marlerinnen und Marler unter den Opfern
Dabei zog Werner Arndt eine Verbindung zur Gegenwart: „Heute müssen wir mehr denn je und ohne Wenn und Aber für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung eintreten. Die Opfer des Nationalsozialismus dürfen nicht als Zahlen und namenlose Schatten in Vergessenheit geraten. Denn sie waren Marler Bürgerinnen und Bürger, so wie Sie und ich.“ Unter den Opfern, die im Holocaust ermordet wurden, waren auch Mitglieder der Marler Familien Boldes und Abrahamsohn.
"Nie wieder!"
Geblieben sind und manifestiert haben sich vor allem die Appelle, die an diesem Nachmittag mehrmals durch die Aula der Scharounschule klangen: „Nie wieder!“ und „Nie wieder ist jetzt!“. Auf das sich der Horror der Pogromnacht niemals wiederholt.
Terror der Pogromnacht
Im Mittelpunkt der Beiträge der Schülerinnen und Schüler sowie von der Initiative „Marler Wege zum Frieden“ standen die Erfahrungen und Gefühle der vom Terror der Pogromnacht Betroffenen. So verdeutlichten die jungen Marlerinnen und Marler in ihren intensiven Darstellungen das Grauen und die Angst der Menschen. Der Differentialkurs Geschichte der Jahrgangsstufe 10 des Gymnasiums im Loekamp beeindruckte mit dem szenischen Spiel „Hilflos ausgeliefert“ und dokumentierte, wie plötzlich kindliche Freude und Unschuld durch eine übermächtige Bedrohung zerstört werden.
"Wo sind meine Nachbarn hin?"
Nicht minder emotional waren die Vorträge der Schülerinnen und Schüler des Zusatzkurses Geschichte der Willy-Brandt-Gesamtschule unter dem Titel „Wo sind meine Nachbarn hin?“. Fiktive Tagebucheinträge dreier Frauen aus verschiedenen Perspektiven in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 machten fassungslos. Angst, Hilflosigkeit, Überforderung, Sprachlosigkeit, Verlust des Sicherheitsgefühls fanden sich in den Beiträgen wieder.
Von Opfern und Tätern
Augenzeugenberichte erweckte der Leistungskurs Geschichte des Albert-Schweitzer-/Geschwister-Scholl-Gymnasiums (ASGSG) mithilfe originaler Fotoaufnahmen zum Leben. Vor allem die kalte und nüchterne Sprache der Täter hallte dabei im Raum nach, während unter der Fragestellung „Wo sind all die Augenzeugen dieser Nacht?“ Ulla Fries-Langer und Christa Heinen von der Initiative „Marler Wege zum Frieden“ das der Veranstaltung überschriebe Zitat „Der Himmel hätte herabfallen sollen“ von Hilde Auerbach lebendig machten. Ihre Worte hinterließen Eindruck in der Aula der Scharounschule.
Tongewaltige Musikbeiträge
Musikalisch begleiteten Jule und Stephan Arnold die Veranstaltung mit „Schindlers List Theme“ von John Williams sowie „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ von Siegfried Fietz und Dietrich Bonhoeffer auf Klavier und Violine. Und tongewaltig präsentierte die Musik-AG „Music forever“ des ASGSG die Melodie „Üben für Chanukka, 9.11.1938, um sieben Uhr“.
Eine Botschaft für Halina Birenbaum
Halina Birenbaum, Bürgerin aus Marls Partnerstadt Herzliya in Israel, übernimmt seit Jahren eine wichtige Rolle im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Als Überlebende des Konzentrationslagers Auschwitz leistet sie seit vielen Jahren Erinnerungs- und Aufklärungsarbeit, sprach häufig zu und mit Marler Schülerinnen und Schülern. Diesmal konnte sie leider nicht persönlich vor Ort sein. Bürgermeister Werner Arndt ließ es sich jedoch nicht nehmen, gemeinsam mit allen Gästen eine Grußbotschaft per Video nach Herzliya zu übermitteln.
Verpflichtung und Hoffnung
In seinem Abschluss-Grußwort betonte Cengiz Caliskan, Vorsitzender des Integrationsrates der Stadt Marl, dass die Pogromnacht ein schrecklicher Wendepunkt und Auschwitz ein Symbol des Versagens der Menschlichkeit seien: „Die Lehren der Vergangenheit sind deutlich und verpflichten uns, für eine bessere Zukunft aktiv zu sein und zu bleiben.“ Auch Pfarrer Roland Wanke (esm) und Pastoralreferent Dr. Philipp Winger (Pfarrei Heilige Edith Stein) gedachten in einem einleitenden Gottesdienst der unzähligen ausgelöschten Leben. Trotz der Gräuel, der Vergangenheit und der Gegenwart, sei es besonders wichtig, die Hoffnung niemals zu verlieren: „Wir brauchen Hoffnung!“
Hintergrund
Seit 1996 wird in Deutschland der 27. Januar als Internationaler Tag zum Gedenken an die Opfer des Holocausts begangen. An diesem Datum wurde im Jahre 1945 das Konzentrationslager Auschwitz befreit.
In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 verwüsteten Anhänger des Nationalsozialismus jüdische Geschäfte und Wohnhäuser, steckten Synagogen in Brand, misshandelten und verhafteten Jüdinnen und Juden. Mit der Reichpogromnacht erreichte der NS-Antisemitismus eine neue Stufe. Deportationen und der jüdische Völkermord in Europa sollten folgen.