Jugendliche auf "emotional bewegender Spurensuche" in Riga

„Wir waren viele Stunden zu Fuß und noch viel mehr in unseren Gedanken unterwegs", berichtet Niels Springstubbe (18). Er ist einer von acht Jugendlichen, die sich in Riga auf eine „emotional sehr bewegende" Spurensuche begeben haben.

Bewegende Eindrücke und Erfahrungen

Dort suchten sie gemeinsam mit Bürgermeister Werner Arndt nach Spuren der jüdischen Bürgerinnen und Bürgern aus Marl, die nach Riga deportiert und dort fast alle ermordet wurden. Die Vorstellung, dass hier „Menschen, die zuvor Haus an Haus mit anderen Marlerinnen und Marlern zusammenlebten", umgebracht wurden, nur weil sie Juden waren, ist Ramon Lelek (17) „sehr nahe gegangen". Für Hannah Köhn (17) war es „sehr befremdlich", auf der Erinnerungstafel in der Gedenkstätte ihren Namen gleich zwei Mal zu lesen. Und wie die meisten aus der Gruppe fand Jonas Küting (18) es „erschreckend", dass das ehemalige jüdische Ghetto heute „eine ganz normale Siedlung ist" und die Menschen dort lebten, als hätte es die Greueltaten der Nazis hier nicht gegeben". Auch am ehemaligen Güterbahnhof Skirotava, in dem am 24. Januar 1942 der erste Zug mit den in Waggons zusammengepferchten Juden aus dem Ruhrgebiet eintraf, hat Jan-Stefan Heinemann (17) keinen Hinweis auf die schreckliche Geschichte dieses Ortes entdeckt.

Spurensuche im Ghetto

Der Bahnhof Skirotava, der heute ganz normal für den Personenverkehr genutzt wird, war auch Ausgangspunkt für die Jugendlichen des Hans-Böckler-Berufskollegs und der Willy-Brandt-Gesamtschule. Weitere Stationen ihrer Spurensuche waren das ehemalige Rigaer Ghetto. Dort konnte die Gruppe das Haus ausfindig machen, in dem unter anderem Mitglieder der Familie Abrahamsohn aus Marl untergebracht waren - von denen nur Rolf Abrahamsohn den Holocaust überlebte. Im Museum des Ghettos erinnert ein nachgebautes Haus an die qualvolle Enge und die erbärmlichen Bedingungen, unter denen die Juden im Ghetto leben mussten.

Gedenken am Ehrenmal

Die Stadt Marl ist seit 2010 Mitglied im Deutschen Riga-Komitee, das mit der Gräber- und Gedenkstätte Riga-Bikernieki an das Schicksal der über 25 000 deutschen Juden erinnert, die in den Jahren 1941/42 nach Riga deportiert und in ihrer überwiegenden Zahl im Wald von Bikernieki ermordet wurden. Dort legte die Gruppe am Ehrenmal gemeinsam mit Bürgermeister Werner Arndt im Gedenken an die Marler Opfer des nationalsozialistischen Rassenwahns einen Kranz nieder.

Aktive Erinnerungsarbeit

Werner Arndt war gemeinsam mit den Jugendlichen nach Lettland gereist, um sich - entsprechend der Tradition des Riga-Komitees - vor dem schlichten Gedenkstein zu verneigen, der an die getöteten Jüdinnen und Juden aus Marl erinnert. Arndt: „Ich wollte gemeinsam mit jungen Menschen aus unserer Stadt ein Zeichen setzen, dass Marl als Mitglied des Riga-Komitees praktische Erinnerungsarbeit fördert". Die Jugendlichen hätten sich dieser „emotional sehr bewegende" Erinnerungsarbeit „mit großem Engagement" und „auf sehr würdevolle Art und Weise" gestellt.

Betreut wurden die Jugendlichen von Christian Grube, Leiter des Jugendkulturzentrums „Kunterbuntes Chamäleon" und der städtischen Integrationsbeauftragten Jennifer Radscheid, die die Fahrt nach Riga fachlich vorbereitet hatten. Die dreitägige Jugendgedenkstättenfahrt wurde möglich dank einer finanziellen Förderung des Ministeriums für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen sowie einer großzügigen Spende der Hüls AG - Stiftung.

Dokumentation zum Auschwitz-Gedenktag im Januar

Die Besuche der Gedenkstätten in Riga waren verknüpft mit einem Foto- und Filmworkshop. Die Jugendlichen haben über zweitausend Fotos und zahlreiche Video-Aufnahmen mit zurückgebracht, die sie jetzt aufbereiten und bei der offiziellen Feier der Stadt Marl am Tag des Gedenkens für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2015 im Rathaus präsentieren werden. Sie wollen damit ihre Beobachtungen, Erfahrungen und Gedanken schildern und die Erinnerung an Riga lebendig halten, weil - wie es Jonas Küting für die gesamte Gruppe formulierte - „Riga sich nicht wiederholen darf".

An der Gedenkstättenfahrt nach Riga vom 27. bis 30. Oktober haben Alexandra Chmiel, Lea Franz, Jan-Stefan Heinemann, Hannah Kohn, Jonas Küting, Ramon Lelek, Nils Springstubbe und Nils Vahnstiege teilgenommen.

Fotostrecke

 

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Gemeinsam mit Bürgermeister Werner Arndt (l.) gedachten acht Jugendliche in Riga-Bikernieki der jüdischen Bürger aus Marl, die nach Riga deportiert und dort fast alle ermordert wurden.

In Riga begab sich die Gruppe am Bahnhof Skirotava auf eine emotional bewegende Spurensuche

und machte im ehemaligen Ghetto das Haus ausfindig, in dem u.a. Mitglieder der Familie Abrahamsohn untergebracht worden waren, von denen nur Rolf Abrahamsohn überlebte.