Vorbereitende Arbeiten
Für die Entkernung der beiden Türme mit fünf und sieben Büroetagen werden in einem ersten Schritt die Stromleitungen gekappt, die Türme und das Zentralgebäude vom Stromnetz des Rathauses genommen. „Damit stellen wir sicher, dass bei den nachfolgenden Bauarbeiten die Stromversorgung des Sitzungstraktes nicht gefährdet wird“, sagt Christian Stojek, Diplom-Ingenieur im städtischen Projekt-Team für die Rathaussanierung. Schließlich wird der Sitzungstrakt noch zwei Jahre lang für Versammlungen und standesamtliche Trauungen genutzt, bevor auch hier die Sanierungsarbeiten beginnen.
Ebenso müssen die Gebäudeteile auch von der Wärmeversorgung des Rathauses abgekoppelt werden. Stattdessen wird in den Türmen und im Zentralgebäude eine sogenannte Bauheizung errichtet, die die Gebäudeteile den Wintermonaten vor dem Auskühlen bewahrt und geeignete Arbeitstemperaturen für die dort tätigen Handwerker schafft.
Die Ruhe vor dem Sturm
„Wir erleben momentan die Ruhe vor dem Sturm“, sagt Marls Technische Dezernentin Andrea Baudek. Doch das werde sich „spätestens im Frühjahr“ ändern, wenn die Entkernung der Rathaustürme beginnt und sich die Handwerker im Rathaus „die Klinke in die Hand geben“.
Einen ersten Eindruck davon bietet die erste Etage im Turm I. Die Büros sind verschwunden, alle Zwischenwände, die in Leichtbauweise errichtet wurden und eine flexible Raumaufteilung ermöglichten, sind restlos entfernt. Die Etage war bereits vor dem Start der Sanierungsarbeiten freigezogen worden, um dort Probebohrungen vorzunehmen und detaillierte Aufschlüsse über die Bausubstanz und den Sanierungsaufwand zu erhalten.
Wärmedämmung und langlebige Alu-Fenster
Ab März wird in beiden Türmen dann die Außenfassade komplett entfernt. Der überwiegende Teil der Aluminiumpaneelen wird überarbeitet, einige werden ausgetauscht. Die Wärmedämmung der Fassaden wird dabei auf den neusten technischen Stand gebracht. Im Rahmen der energetischen Sanierung werden auch die Fenster – sie gehören weltweit zu den ersten Kunststofffenstern - vollständig ersetzt. Beide Türme erhalten neue wärmegedämmte und langlebige Alu-Fenster in entsprechender Farbgebung. Insgesamt werden in beiden Türmen ca. 4.500 qm Böden, 9.700 qm Decken und ungefähr 500 Türen ersetzt und 1.300 qm Wände neu erstellt. Das gesamte Rathausgebäude wird denkmalgerecht saniert, die Optik der Türme bleibt somit erhalten. Sie werden wieder "zu einem echten Hingucker“, verspricht Baudezernentin Andrea Baudek.
Einzigartige Konstruktion
Die Bürotürme stellen eine bauliche Besonderheit der Rathaus-Architektur dar. Sie waren die ersten Hängehochhäuser ihrer Art, die in der Bundesrepublik Deutschland errichtet wurden. Die Etagen werden von Stahlbändern getragen, die innen durch alle Stockwerke geführt werden und an einer Stahlkonstruktion auf dem Dach befestigt sind. Die Konstruktion steht auf dem "harten Kern" der Türme, den die Treppenhäuser mit den Fahrstühlen in massiver Beton-Bauweise bilden. Die beton-ummantelten Stahlbänder, die senkrecht an den Außenseiten verlaufen und eine unterstützende Funktion bei der Ableitung der Tragkräfte haben, werden entsprechende der Vorgaben des Denkmalschutzes sorgfältig betonsaniert.
Hochwertige Baumaterialien
Zu den Besonderheiten des Rathauses gehören auch die hochwertigen - und heute wohl unbezahlbaren - Materialien, die beim Bau des Gebäude-Ensembles verwendet wurden. Die niederländischen Architekten Johannes Hendrik van den Broek und Jacob Berend Bakema hatten nicht nur neue Maßstäbe gesetzt, indem sie statt eines massiven Zweckbaus ein funktionales, in mehrere Elemente gegliedertes Gebäude-Ensemble entworfen hatten. Sie setzen auch im Innenausbau auf eine Kombination unterschiedlicher hochwertiger Baumaterialien.
Marmor, Holz und Mosaike
So domminieren im repräsentativen Sitzungstrakt und in dem ihn L-förmig umschließenden Gebäudeteil französischer Marmor, exklusive Holzvertäfelungen und feine Wandmosaiken in wechselnden Farbtönen – Materialien, deren behutsame Sanierung besondere Lösungen erfordert, damit auch hier den Anforderungen des Denkmalschutzes Rechnung getragen werden kann. Wegen des Denkmalschutzes, der sich auf das gesamte Gebäude und Teile der Außenanlagen erstrecke, sei die Stadtverwaltung „in einem permanenten und konstruktiven Austausch mit dem Denkmalschutz-Behörden“, erklärt Dorothea Abraham, Architektin im Projektteam für die Rathaussanierung.
Ausgezeichnete Architektur
Das Rathaus Marl steht seit 2015 unter Denkmalschutz. Das Gebäude-Ensemble ist ein herausragendes Beispiel für die Architektur der Ruhrmoderne. Es wurde 2018 von der Landesinitiative StadtBauKultur NRW als „Big Beautiful Building“ („Großes schönes Gebäude“) ausgezeichnet und gilt als „Symbol demokratischer Baukultur“, die Besucher nicht als Bittsteller, sondern selbstbewusste Bürgerinnen und Bürger einer demokratischen Gesellschaft betrachtet.
Rückzug ins Rathaus in 2024
„Die Sanierung ist für alle Beteiligten eine außergewöhnliche Herausforderung“, umschreibt Bürgermeister Werner Arndt die vielschichtigen Anforderungen, die dieses Mammut-Projekt an Architekten, Ingenieure und Handwerker stellt.
Zirka 70 Mio. Euro sind für die energetische und denkmalgerechte Runderneuerung des Rathauses veranschlagt und für die nächsten Jahre im städtischen Haushalt eingestellt. Gute 10 Millionen Euro hat die Stadt bereits an Bundes- und Landesmitteln aus dem Stadterneuerungsprogramm erhalten. Weitere Zuwendungen sind in Aussicht gestellt.
2024 möchte die Verwaltung, die während der Bauphase auf vier Stadthäuser (u.a. auf zwei Verwaltungsgebäude der ehemaligen Zeche Auguste Victoria) verteilt ist, ihr frisch saniertes Gebäude beziehen.
Millionenschwere Investitionen
Bis dahin liegt noch viel Arbeit vor allen Beteiligten. Dennoch: Für Bürgermeister Werner Arndt ist der Start der Sanierungsarbeiten „ein ermutigendes Signal des Aufbruchs“. Mit den weiteren geplanten städtischen Vorhaben - wie dem kulturellen Erlebnis- und Begegenungsort "Marschall 66" - und privaten Investitionen wie aktuell in den Marler Stern würden in den nächsten Jahren über 150. Mio. Euro investiert.
Impulse für die Stadtentwicklung
Das Rathaus stehe „für die große Aufbruchsstimmung in den 60er und 70er Jahre“, sagt Bürgermeister Werner Arndt. Er ist zuversichtlich, dass auch von der Sanierung des Gebäudes „wichtige Impulse für die weitere Entwicklung unserer Stadt“ ausgehen werden – 60 Jahre nach der Grundsteinlegung für den Bau des Rathauses.