Kernaussagen des Demografieberichts
Bevölkerungsentwicklung
Die sinkenden Bevölkerungszahlen werden zu einer deutlichen Entspannung auf dem Wohnungsmarkt führen - vor allem, wenn es nicht gelingt, die bestehenden Abwanderungstendenzen nachhaltig zum Positiven zu beeinflussen. Ein entspannter Wohnungsmarkt führt aller Erkenntnis nach zu einer fortschreitenden Polarisierung zwischen den schon heute privilegierten und den benachteiligten Stadtteilen und Quartieren. Es entstehen bzw. verschärfen sich demografische, soziale und ethnische Segregationsprozesse - die Verhinderung einer Aufspaltung der Gesellschaft wird damit zu einer der wichtigsten Aufgaben für die Stadt Marl. Der zu erwartende Bevölkerungsrückgang in Marl lässt sich nur dann bremsen, stoppen oder gar umkehren, wenn es zu einem deutlichen Zuzugsverhalten aus anderen Kommunen nach Marl kommt.
Die Gruppe der Senioren wird künftig deutlich anwachsen und zugleich ethnisch deutlich heterogener strukturiert sein als dies bislang der Fall ist. Dies hat deutliche Auswirkungen etwa auf die Konfiguration von komplementären Diensten, Wohn- und Pflegeangeboten. Ältere Menschen lassen sich erfahrungsgemäß relativ leicht für ein bürgerschaftliches Engagement gewinnen. Diesen Aspekt sollte die Stadt Marl aufgreifen und bürgerschaftliches Engagement von Senioren gezielt aktivieren und fördern.
Festzustellen ist zudem, dass die Altersstruktur in den einzelnen Stadtteilen teilweise deutlich voneinander abweicht. So machen in Drewer-Süd und Polsum Menschen über 50 Jahren schon heute fast die Hälfte der Bevölkerung aus. Hüls-Süd, der Stadtkern und Hamm hingegen sind neben Sinsen-Lenkerbeck vergleichsweise junge Stadtteile, in denen die Anteile der unter 50jährigen an der Gesamtbevölkerung bei deutlich über 60% liegen. Wie sich die Anteile einzelner Altersgruppen in Zukunft einzelnen darstellen werden, lässt sich kaum prognostizieren, da die künftige Zusammensetzung der Altersgruppen erheblich durch die Altersstruktur von Zuzüglern beeinflusst wird.
Migration
Menschen mit Migrationshintergrund sind immer noch nicht umfassend in der Mehrheitsgesellschaft "angekommen". Sie tragen deutlich höhere Armuts- bzw. Arbeitslosigkeitsrisiken, weisen eine überproportionale Bildungsbenachteiligung auf, wohnen überwiegend in benachteiligten Stadtteilen u. v. m. Eine von möglichst vielen Institutionen und Akteuren getragene Integrationsoffensive zur Förderung und Gestaltung des Zusammenlebens von Menschen mit unterschiedlichen ethnischen Hintergründen kann hier wirkungsvoll gegensteuern. Die Stadt Marl könnte dabei die Impuls-, Vernetzungs- und Koordinierungsfunktion übernehmen.
In Stadtteilen wie dem Stadtkern, Hüls-Nord, Hamm und Hüls-Süd ist künftig mit einer zunehmenden räumlichen Konzentration von Menschen mit Migrationshintergrund zu rechnen. Unterstellt man, dass die heutigen Kinder mit Migrationshintergrund im jeweiligen Stadtteil wohnen bleiben, hätten in 10-15 Jahren im Stadtkern drei von vier und in Hüls-Nord jeder dritte 18jährige einen Migrationshintergrund.
Wohlstand und Armut
Schon heute besteht eine deutliche Auseinanderentwicklung von armen und wohlhabenden Stadtteilen. Der sich entspannende Wohnungsmarkt in Marl wird - sofern hier nicht wirksam gegengesteuert wird - dazu führen, dass sich sozial benachteiligte und sozial begünstigte Stadtteile weiter auseinander bewegen werden. Es besteht die Gefahr, dass es zu einer innerstädtischen sozialen Polarisierung zwischen einzelnen Stadtteilen kommt.
Kinder und Jugendliche
Kinder und Jugendliche sind - vor allem, wenn sie einen Migrationshintergrund aufweisen - am stärksten von den Auswirkungen des demografischen Wandels betroffen. Sie sind es, die die Konsequenzen - Bildungsbenachteiligung, Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt, belastetes Wohnumfeld, gesundheitliche Beeinträchtigung und soziale Stigmatisierung - ein Leben lang spüren werden. Wichtig sind daher integrierte Handlungsansätze, die die Lebenssituation von Familien und Kindern sowie die Bedingungen, unter denen heute Familien leben und Kinder aufwachsen, in den unterschiedlichen Facetten umfassend und sozialraumbezogen in den Blick nehmen. Bereits jetzt hängen die Lebenssituation und die Bildungschancen von Kindern mit davon ab, in welchem Stadtteil sie aufwachsen. Kinder aus Stadtteilen wie Polsum, Alt-Marl und teilweise auch Brassert sind gegenüber Kindern aus dem Stadtkern, aus Hüls-Nord, Hüls-Süd oder aus Sinsen-Lenkerbeck zum Beispiel im Hinblick auf Bildung, Gesundheit finanzieller Ausstattung privilegiert. An diesen Aspekten gilt es anzusetzen, damit nicht künftig immer mehr Kinder von den Folgen einer innerstädtischen Polarisierung zwischen einzelnen Stadtteilen betroffen sein werden.
Handlungsansätze
Gemeinsam mit Vertretern aus Politik und Verwaltung wurde der folgende Katalog mit 13 Handlungsansätzen erarbeitet, die als strategische Ziele für entsprechende Konkretisierungen dienen:
1) Bevölkerung halten, binden und gewinnen
Wichtigste Aufgabe der neuen Stadtentwicklung ist, Bevölkerung zu halten, zu binden und zurück zu gewinnen. Dieses gelingt nur mit Stadt- und Wohnumfeldqualität und durch Freizeit- und Kulturangebote. Nur so ist der Schrumpfungsprozess abzufedern und die kommunale Handlungsfähigkeit zu erhalten. Städtebau wird zum Stadtumbau. Es wird weniger gebaut und die Gestaltung der schrumpfenden Stadt findet nicht durch Neubauten sondern durch qualitätsvollen Umbau statt. Ästhetische Landschaft und Grünflächen werden zu dominierenden und wichtigen Gestaltwerkzeugen der Stadtplanung.
2) Entwicklung neuer Strategien
Schrumpfung und Rückgang erfordert grundlegend andere Strategien und Methoden als die angebotsorientierte, auf Wachstum ausgerichtete klassische Stadtplanung. Die Stadt Marl wird eine Vorreiterrolle bei der Entwicklung neuer Handlungsstrategien zur Gestaltung des demografischen Wandels spielen. Sie hat die Chance ihren Handlungsvorsprung in neue Attraktivität umzusetzen. Aus dem Wandel wachsen Vorteile, wer zuerst handelt, gewinnt.
3) Schrumpfung als Chance
Mit dem Schrumpfen eröffnen sich Chancen: Weniger Siedlungs- und Wachstumsdruck, weniger Flächenverbrauch (relativ) und ein insgesamt geringerer Ressourcenverbrauch. Solche Chancen sind in neue Qualitäten umzusetzen. Attraktivität entsteht durch Qualität und nicht durch Wachstum. Städte können kleiner werden, wenn ihre Einwohner eine bleibende oder besser werdende Qualität vorfinden.
4) Re-Investition freiwerdender Ressourcen
Um die schulischen und außerschulischen Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen zu erhöhen, sind die Ressourcen, die im Rahmen des demografischen Wandels frei werden, generell in die Bildung zu re-investieren.
5) Partizipation von Kindern und Jugendlichen
Es sind frühzeitig Strukturen zu entwickeln, die die partizipative Einbeziehung der Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen in einer schnell alternden Gesellschaft sicherstellen.
6) Familiengerechte bzw. generationenübergreifende Wohnumfelder
Im Rahmen der Stadtentwicklung hat die Gestaltung eines familiengerechten sowie generationenübergreifenden Wohnumfeldes absoluten Vorrang.
7) Freizeit, Kultur und Bildung für Senioren
Aufgrund der ständig wachsenden Zahl der Senioren sind die Angebote im Bereich Wohnen, Freizeit, Kultur und Bildung auf diesen Personenkreis zuzuschneiden und auszuweiten. Eine quartiersnahe Versorgung ist anzustreben.
8) Vernetzung bestehender Angebote
Eine Vernetzung bisheriger Angebote ist anzustreben. Die bislang bestehenden Angebote für Senioren sind zu erfassen, fehlende zu ergänzen und Überangebote abzubauen. Hier ist die Zusammenarbeit aller Träger, Verbände, Firmen usw. erforderlich, die sich in die Seniorenarbeit einbinden.
9) Seniorenangebote für Migranten
Die Anteile der Personen mit Zuwanderungsgeschichte an der älteren Bevölkerung werden in den nächsten Jahren massiv steigen. Es muss zeitnah versucht werden, Angebote so zu gestalten, dass dieser Personenkreis in die Seniorenarbeit umfassender als bislang integriert wird.
10) Verbesserung der Bildungschancen von Migranten
Die Verbesserung der Bildungssituation von Menschen mit Migrationshintergrund ist zwingend erforderlich um die Leistungsfähigkeit der Gesellschaft aufrecht zu erhalten.
11) Integration als Querschnittsaufgabe
Die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund geht weit über die Vermittlung von Sprachkenntnissen hinaus und stellt eine Querschnittsaufgabe dar. Hier spielen Formen der Selbstorganisation von Migranten eine besondere Rolle.
12) Mitwirkung und Bürgerengagement stärken
Neue Qualitäten entstehen nur mit und nicht gegen die Bürger der Stadt. Die öffentliche Diskussion muss sich dem demografischen Wandel stellen, ihn annehmen und daraus Perspektiven entwickeln. Die Politik und die Gemeinschaft der Bürger sind gefordert. Nur eine umfassende Bürgermitwirkung mit Mitgestaltung erhalten die aktive Bevölkerung und wahren die Identifikation mit der Stadt. Dies ist kein demokratischer Luxus, sondern für die schrumpfende Stadt überlebensnotwendig. Es sind neue Formen der Partizipation zu entwickeln und das bürgerliche Engagement für die Stadt zu stärken.
13) Vom Städtebau zum Stadtumbau
Städtebau wird zum Stadtumbau. Insgesamt wird weniger gebaut. Im ,,Kleinerwerden" braucht die Stadt keine neuen großen Gebäudekomplexe mehr, weder als private noch als öffentliche Investitionen. Die Gestaltung der schrumpfenden Stadt findet nicht durch Neubauten statt, sondern durch qualitätsvollen Umbau. Grün- und Landschaft mit ihren ästhetischen Qualitäten werden zu dominierenden und wichtigen Gestaltwerkzeugen der Stadtplanung.