„Wenn einmal etwas passiert, ist es einmal zu viel"

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Die Argumente der Landesregierung für den Bau einer Klinik für psychische kranke Straftäter auf dem ehemaligen Bergbaugelände AV Haltern I/II an der Stadtgrenze zu Marl konnte die Marler bei einem Informationsabend im Rathaus gestern Abend nicht überzeugen.

Zusätzlicher Bedarf an Klinikplätzen in der Forensik

Auf Einladung von Bürgermeister Werner Arndt stellten der Landesbeauftragte für den Maßregelvollzug Ulrich Dönisch-Seidel und Abteilungsleiter Falk Schnabel den künftigen Platzbedarf und das Verfahren für die Auswahl der untersuchten Standorte vor. Bis 2020 würden in Nordrhein-Westfalen bis zu 750 Plätze fehlen. Im Landgerichtsbezirk Essen, zu dem auch Haltern am See und Marl gehören, hat die Landesregierung eine Deckungslücke von 183 Klinikplätzen für psychisch kranke Straftäter errechnet.

Frühere Verfügbarkeit gab Ausschlag für Haltern I/II

In einem dreistufigen Verfahren seien landesweit 122 und im Landgerichtsbezirk Essen 17 Standorte auf ihre Eignung geprüft worden. Im Gerichtsbezirk Essen, so die Vertreter der Landesregierung, seien schließlich nur zwei ehemaligen Bergbauflächen in Haltern am See übrig geblieben, auf der eine neue forensische Klinik mit 150 Plätzen zeitnah gebaut werden könne: das zunächst ausgewählte Gelände von AV 9 in der Hohen Mark (die Standortwahl wurde von zwei Bürgerinitiativen massiv kritisiert) und Haltern I/II an der Stadtgrenze zu Marl. Ausschlaggebend für die Entscheidung zugunsten des zweiten Standortes, der nur ca. 1 km Luftlinie von Kinder- und Jugendpsychiatrie in Marl-Sinsen entfernt ist, sei vor allem die frühere planungsrechtliche Verfügbarkeit gewesen, so Falk Schnabel. Das bergbaurechtliche Abschlussbetriebsverfahren für die Fläche laufe bereits.

Nähe von Tätern und Opfern

Sachliche Kritik aus dem Publikum richtete sich unter anderem gegen die Nähe der geplanten Forensischen Klinik, in der auch Sexualstraftäter inhaftiert würden, zur Kinderklinik in Marl-Sinsen. Damit würden Täter in unmittelbare Nähe zu Opfern untergebracht. „Ich würde mein Kind dann nicht mehr in die Kinderklinik geben", so eine besorgte Mutter. Dagegen sah Peter Eltrop, kaufmännischer Leiter der Klinik, nicht die Gefahr, dass Eltern ihre Kinder nicht mehr zur Therapie in die Klinik des Landschaftsverbandes geben würden. In Dortmund, so Peter Eltrop, läge eine Kinderklinik, für die er ebenfalls zuständig sei, nur „einen Steinwurf" von der Forensik entfernt. Die unmittelbare Nähe habe keine negativen Auswirkungen auf die Kinderklinik.

Argumente „ins Wanken geraten"

Der Hinweis auf Dortmund vermochte Peter Wenzel, Vorsitzender des SPD-Fraktion im Rat der Stadt Marl, dennoch nicht zu überzeugen. Er zeigte sich außerdem enttäuscht über die „knappen Begründungen" für die Bewertung der untersuchten Standpunkte. Für ihn seien die Argumente für den Standort Haltern I/II damit „ins Wanken geraten".

Was kann bei Freigängen passieren?

Eltern aus dem Publikum - der Einladung ins Rathaus waren ca. 80 Bürgerinnen und Bürger gefolgt - äußerten ihre Sorgen auch zu den Freigängen, mit denen Straftäter mit guter Prognose nach und nach auf die Entlassung vorbereitet werden. Tillmann Hollweg, Dezernent für den Maßregelvollzug beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (der Verband würde auch die geplante Forensik in Haltern betreiben) stellte dar, dass die Lockerungen im Maßregelvollzug nur bei vielversprechender Prognose und nur Schritt für Schritt und zunächst in Begleitung erfolgten. Die Eltern blieben dennoch skeptisch: „Wenn einmal etwas passiert, ist es einmal zu viel".

Kritik am „krampfhaften Festhalten" an Gerichtsbezirken

Kritisiert wurde aus dem Publikum auch das „krampfhafte Festhalten" an den Landgerichtsbezirken bei der Suche nach Standorten. Es widerspreche dem Prinzip der wohnortnahen Unterbringung, wenn etwa Straftäter aus Oer-Erkenschwick, das zum Bezirk Bochum gehöre, in Herne und Straftäter aus Sprockhövel, das im Gerichtsbezirk Essen liegt, in Haltern am See untergebracht würden. Bürgermeister Werner Arndt machte in diesem Zusammenhang deutlich, dass - unabhängig von Gerichtsbezirksgrenzen - „unsere Region" mit der Forensik in Herne bereits ihren Beitrag zum Maßregelvollzug geleistet habe.

Wie geht es weiter?

Ulrich Dönisch-Seidel wird im nächsten Schritt den Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW beauftragen, eine Bauvoranfrage vorzubereiten, die von der Bezirksregierung Münster planungsrechtlich zu prüfen sei. Beabsichtigt sei, die Planung und den Bau der geplanten Klinik in Haltern am See von einem Planungsbeirat mit Vertretern der Politik und interessierten Bürgerinnen und Bürgern begleiten zu lassen, an dem sich sicherlich auch Marl beteiligen könne. Bürgermeister Werner Arndt kündigte an, dass die Ratsfraktionen in den nächsten Tagen das weitere Vorgehen beraten würden und die Stadt mit der Landesregierung im Gespräch bleibe werde. Seine Vermutung: „Über den Bau der neuen Klinik werden letztlich wohl die Gerichte entscheiden".

Weitere Informationen:

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Informationen zum Maßregelvollzug: www.mgepa.nrw.de
kostenlose Hotline der Landesregierung: Tel. 0800 137 7 137

 

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Ulrich Dönisch-Seidel (m.), Beauftragter der Landesregierung für den Maßregel-vollzug, und Abteilungsleiter Falk Schnabel informierten auf Einladung von Bürgermeister Werner Arndt (l.) über die geplanten Forensik an der Stadtgrenze zu Marl.