Vormundschaften: „Am Ende zählt ausschließlich das Wohlergehen des Kindes“

Seit zweieinhalb Jahren kümmert sich Friederike Peters um das Thema Amtsvormundschaften bei der Stadt Marl. Dabei steht für die 29-Jährige gemeinsam mit ihren fünf Kolleginnen und Kollegen ausschließlich das Wohlergehen der Kinder an erster Stelle.

Rund 170 betreute Kinder und Jugendliche werden aktuell vomundschaftlich vertreten. „Allerdings ist die Anzahl schwankend“, weiß Jugendamtsleiter Andreas Wesche. Das hänge aktuell unter anderem auch mit der Zahl der allein reisenden, minderjährigen Geflüchteten zusammen. Das Thema Vormundschaft ist vielschichtig – welche Ziele werden also verfolgt, welchen Vorurteilen gilt es zu begegnen?

Organisatorisch eingenständig

„Wenn wir es auf einen Punkt herunterbrechen wollen, dann geht es bei unserer Arbeit darum, dass am Ende ausschließlich das Wohlergehen des Kindes zählt“, sagt Friederike Peters als Leiterin des Sachgebietes. Dabei arbeitet sie mit ihrem Team autark, ist weder dem Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) untergeordnet, noch angegliedert, sondern organisatorisch komplett eigenständig. So soll ein neutraler Blick auf die jeweiligen Fälle gewährleistet werden.

Nicht alle Lebensbereiche müssen betroffen sein

Doch was bedeutet Vormundschaft überhaupt, was ist der Unterschied zur rechtlichen Betreuung? Andreas Wesche: „Der größte Unterschied liegt beim Alter. Mit der Volljährigkeit endet die Vormundschaft, entweder die der Eltern oder die der bestellten Vormunde. Für Erwachsene würde ein Gericht bei Notwendigkeit und entsprechender Voraussetzungen eine rechtliche Betreuung anordnen.“ Diese muss nicht zwangsläufig auf alle Lebensbereiche ausgedehnt sein.

Suche nach Wohngruppe oder Pflegefamilie

So können auch nur einzelne Teile der elterlichen Sorge entzogen werden, wie zum Beispiel die Aufenthaltsbestimmung, die schulische Pflege oder behördliche Angelegenheiten. Wenn Eltern nicht mehr in der Lage sind, alle Aufgaben den Kindern gegenüber zu erfüllen, und Kinder nicht mehr im familiären Umfeld bleiben können, dann sucht das Jugendamt für sie Wohngruppen oder Pflegefamilien.

170 Amtsvormundschaften in Marl

Die aktuell etwas 170 Vormundschaften in Marl betreffen Kinder und Jugendliche der gesamten Altersbandbreite – von der Geburt bis zur Volljährigkeit. „Wir kommen also ausschließlich bei Minderjährigen ins Rennen. Wenn Eltern nicht in der Lage sind, die Sorge zum Wohle der Kinder auszuüben, treten wir auf den Plan. Aber auch bei Vollwaisen, unbegleiteten geflüchtete Minderjährigen oder minderjährigen Kindesmütter, die damit noch nicht voll geschäftsfähig sind, ist das Jugendamt zuständig“, erklärt Friederike Peters. Allerdings sei beispielsweise nicht jeder Jugendliche aus dem Ausland direkt mit einer Vormundschaft verbunden. Es komme auch vor, dass die jungen Menschen bereits mit einer Vollmacht in Marl ankommen, die die Vormundschaft auf hier lebende Verwandte übertragen haben.

Präventionsarbeit durch den ASD

Andreas Wesche ergänzt in diesem Zusammenhang: „Die Übernahme einer Vormundschaft ist nur das letzte Mittel. Friederike Peters und ihre zwei Kollegen sowie drei Kolleginnen arbeiten nach der vorgeschalteten Präventionsarbeit durch den ASD und einer möglichen Bestellung mit dem Sozialen Dienst zusammen, um die Eltern zu stärken, damit es vielleicht gar nicht erst zum Entzug der elterlichen Sorge kommen muss.“ Alles in allem sehe man sich im Jugendamt auch als Dienstleister für Bürgerinnen und Bürger, der dann unterstützt, wenn Eltern Unterstützung signalisieren, benötigen oder sie sich schlichtweg überfordert fühlen.

Im Austausch mit den Familien

„Wenn ein Gericht die Vormundschaft dem Jugendamt zuspricht, dann ist das immer die Ultima Ratio, das letzte Mittel. Um es erst gar nicht so weit kommen zu lassen, würden wir uns wünschen, Eltern kämen öfter aus eigenem Antrieb zu uns, um Hilfe zu suchen. Je früher die Prävention einsetzt, desto geringer das Risiko. Beispiele, in denen diese Arbeit fruchtet, haben wir zu genüge. Schließlich sind wir mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Quartieren der Stadt vor Ort, sind dort Ansprechpartner“, so der Jugendamtsleiter. Dort kenne man sich, ist im permanenten Austausch mit Familien – das Stigma „Jugendamt“, das einem die Kinder wegnehmen wolle, sei dort ein Fremdwort.

Eltern miteinbeziehen, wenn es möglich ist

Greift das Familiengericht dennoch zum letzten Mittel, versucht das Team der Amtsvormundschaften im Rahmen der Möglichkeiten die Eltern mit einzubeziehen. Auch wenn diese keine rechtsverbindlichen Entscheidungen treffen können, ist die Einschätzung und Meinung der Kindeseltern für die Entwicklung der Kinder wichtig. „Das macht in vielen Fällen Sinn. Schließlich überprüfen die Gerichte regelmäßig, ob die elterliche Sorge weiterhin entzogen bleiben muss oder ob diese auf die Kindeseltern zurückübertragen werden kann. Wir sitzen weiterhin in einem Boot, was auch mögliche Rückführungen natürlich erleichtern kann“, erläutert die Sachgebietsleiterin.

Alle Planstellen sind besetzt

Nachdem Mitarbeitende altersbedingt ausgeschieden waren, sind mittlerweile alle Planstellen in der Vormundschaft der Stadt Marl trotz des landesweiten Fachkräftemangels besetzt. „Da fällt uns allen ein großer Stein vom Herzen. Denn bei solch verantwortungsvollen Aufgaben, ist ausreichend und qualifiziertes Personal essentiell“, weiß Andreas Wesche. 

Ein Leuchten in den Augen

Wenn Friederike Peters an ihre Fälle denkt, dann leuchten ihre Augen: „Wir erleben die Kinder im 1:1-Kontakt, gehen mit ihnen spazieren, spielen miteinander. So entsteht über die Zeit ein Vertrauensverhältnis, in dem sich die Jungen oder Mädchen einem öffnen. Das erleben zu dürfen, ist einfach schön. Ich arbeite immer wieder mit tollen Kindern zusammen.“

Mehr Ehrenamt für mehr Betreuung

In Zukunft soll übrigens durch eine Gesetzesänderung grundsätzlich geprüft werden, ob eine ehrenamtliche Vormundschaft für bestimmte Bereiche möglich sind. Diese sollen sollen vorrangig eingerichtet werden, damit die Kinder und Jugendlichen besser begleitet und vertreten werden. Eine ehrenamtliche Person übernimmt eine Vormundschaft. Eine Amtsvormundin oder ein Amtsvormund in Vollzeit übernimmt in Marl maximal 45 Vormundschaften. Die ehrenamtlich geführte Vormundschaft hat eine deutliche höhere zeitliche Ressource und soll den Kindern und Jugendlichen ermöglichen, eine Vertrauensperson von extern zu erhalten, die gegebenenfalls auch über das 18. Lebensjahr hinaus mit Rat und Tat zur Seite steht.

 

 

 

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