Sternstunden für die Sprachförderung

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Sprache ist der Schlüssel zur Bildung und ein wichtiger Türöffner für die aktive Teilhabe an der Gesellschaft. Die Stadt hat jetzt ein neues Modell entwickelt, mit dem sie die Sprachförderung in ihren Kitas optimiert.

"Meilensteine" und "Sternstunden"

Nour (4) freut sich schon auf ihre Sternstunde. Heute deckt sie mit ihrer Erzieherin den Mittagstisch für ihre Kita-Gruppe und genießt die ungeteilte Zuwendung. Nour, die anfangs nur türkisch sprach, lernt neue Wörter wie Teewagen und Besteck - und erreicht damit einen wichtigen Meilenstein ihrer individuellen Sprachförderung. „Meilensteine“ und „Sternstunden“ sind zwei wichtige Bestandteile eines neuartigen Models, mit dem die Stadt Marl die Sprachförderung in ihren Kitas optimiert.  

Wegweisendes Konzept

„Die Sprache ist das Tor zur Welt“, sagt Jugenddezernentin Dr. Barbara Duka. Damit alle Kinder in den städtischen Kindertagesstätten dieses Tor möglichst weit öffnen können, hat das Jugendamt das „Marler Modell für die individuelle Sprachförderung“  entwickelt. „Mit dem Marler Modell erreicht die Sprachförderung in unseren Kitas ein neue Qualität, die auch für andere Kommunen wegweisend sein kann“, so Dr. Duka.

Individueller Bildungsplan für jedes Kind

Wurde der sprachliche Entwicklungsstand der Kinder bisher bereits bei der Aufnahme in die Kita eingeschätzt und die weitere Sprachentwicklung anschließend  im Halbjahresrhythmus und einmal im Jahr mit dem gesetzlich vorgegebenen Verfahren dokumentiert , fließen die hierbei gewonnen Beobachtungen und Kenntnisse jetzt ein in einen umfassenden Bildungsplan, der für jedes Kind individuell erstellt wird. Darin werden jeweils die Lern- und Entwicklungsziele für die nächsten Wochen und Monate formuliert und die auf einander abgestimmten pädagogisch-didaktische Maßnahmen festgelegt, mit denen die Ziele der Sprachförderung  dann in alltäglichen Kommunikationssituationen erreicht werden sollen. Für die Fachkräfte in den Kitas bedeutet dies: Sie müssen nicht nur erkennen, was das Kind schon kann, sondern ihren Blick darüber hinaus auf das richten, was sich als Nächstes auf dem Lernweg des Kindes andeutet.  

Alltagsintegrierte Sprachförderung

Sind diese „Meilensteine“ identifiziert, werden die konkreten praktische Schritte („Leistungsbausteine“) ausgewählt, mit denen das einzelne Kita-Kind in Alltagssituationen seine  Ziele erreichen kann. Bei Nour war ein Meilenstein die Erweiterung ihres Wortschatzes. Diesen Meilenstein erreichte sie, indem sie beim Tischdecken mit Unterstützung ihrer Erzieherin ihre sprachliche Ausdrucksfähigkeit trainierte oder bei der Zubereitung eines Obstsalates die Wörter für Obstsorten und Zutaten kennenlernte. Wenn Nour anschließend den anderen Kindern ihrer Kita-Gruppe berichtete, stärkte sie ihre Sprechfreude, was ihr wiederum einen zusätzlichen Anreiz gab, ihr Sprachvermöge weiterhin zu trainieren und zu entwickeln.

Das ganze Kind steht im Mittelpunkt

Manche Leistungsbausteine werden in Kleingruppen, manche in sogenannten Sternstunden umgesetzt, in denen  das zu fördernde Kind die ungeteilte Aufmerksamkeit  einer Fachkraft erhält, wie Nour beim Tischdecken und beim gemeinsamen Einkauf der Zutaten für den Obstsalat. „Wir planen die Leistungsbausteine so, dass wir die Kinder bei ihren Interessen abholen und sie möglichst ihre individuellen Stärken einbringen können“, sagte Claudia Grotegut, Fachberaterin des Jugendamtes. „Wenn die Kolleginnen und Kollegen in unseren Kitas überlegen, wie und womit ein ganz bestimmtes Kind in seiner Sprachentwicklung unterstützt werden kann, steht immer das ganze Kind im Mittelpunkt.“

Intensive Kommunikation

Damit das neue Konzept aufgeht, bedarf es einer guten Kommunikation zwischen den Erzieherinnen und Erziehern, weiß der Diplom-Pädagoge und Organisationsberater Michael Schrader von der pragma gmbh, der die Konzeptentwicklung begleitet hat. „Das neue Konzept fordert von den Fachkräften eine sehr intensive Kommunikation über die einzelnen Kinder und auch über die Zusammenarbeit in den Gruppenteams, um die differenzierte Planung und Umsetzung der Leistungsbausteine zu ermöglichen“.

Enge Kooperation mit den Eltern

Bei der Umsetzung des Bildungsplanes arbeiten die Erzieherinnen und Erzieher in den Kitas eng mit den Eltern zusammen. Gibt es bei einem der Kinder Hinweise auf körperliche Einschränkungen (wie z.B. organische Beeinträchtigungen beim Hören) oder auf psychische Belastungen,  sprechen die Fachkräfte mit den Eltern über die Hinzuziehung eines Arztes oder Psychologen.

Vier Jahre intensiver Arbeit

Das Marler Modell wurde aus der Praxis für die Praxis entwickelt. Vier Jahre lang hat ein Team aus Leitungskräften mehrerer Kitas gemeinsam mit Claudia Grotegut das Marler Modell im Rahmen der Bundesprogramme „Sprache und Integration“ und „Sprach-Kitas“ konzipiert und in der alltäglichen Praxis erprobt.  Die inhaltliche Grundlage für die konzeptionelle Weiterentwicklung leistete der Diplom-Pädagoge Karl-Heinz Schmidt von der Beratungsfirma PowerPäd, für die praktische Umsetzung stand während der Förderphase jeder Kita eine Sprachfachkraft zur Verfügung.

71 Seiten starke Arbeitshilfe

Die Ergebnisse des Projektes liegen jetzt in Form einer 71 Seiten starken Arbeitshilfe für die Sprachförderung in den städtischen Kindertagesstätten vor. Darin wird das Marler Modell detailliert beschrieben und exemplarisch die Entwicklungswege von Nour und fünf weiteren Kindern mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen dargestellt.

Erfolgreiche Sprachförderung

„Die geschilderten Beispiele zeigen, wie es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gelungen ist, jedes einzelne Kind gezielt zu fördern und in seiner Sprachentwicklung  zu unterstützen“, sagt Claudia Grotegut. „Eine kompetente Sprachförderung leistet darüber hinaus auch einen nachhaltigen Beitrag zur Integration.“

Nouri und Alev kommen in der Schule gut zurecht

Das zeigt Nours Entwicklung. Die Tochter türkischer-libanesischer könnte kaum verständlich sprechen und artikulieren, als sie mit einem Jahr und vier Monaten in die Kita kam. Am Ende ihrer Kita-Zeit hatte sie zwar noch Probleme mit der Lautbildung, konnte aber in der Grundschule dem Unterricht gut folgen und kam mit zusätzlicher  Unterstützung ihrer Mutter auch mit den Hausaufgaben gute zurecht. Auch Alev, die mit zweieinhalb Jahren in die Kita kam und nur türkisch sprach, konnte mit Unterstützung ihrer Erzieherinnen und Erzieher  ihre Sprachkompetenz nach dem Marler Modell so sehr verbessern, dass ihr ohne Einschränkungen die Schulfähigkeit attestiert werden konnte.

Kompetente pädagogische Arbeit

„Die geschilderten Entwicklungsverläufe zeigen, wie wichtig und wie erfolgreich kompetente pädagogische Arbeit in der Sprachförderung sein kann“, sagt Jugendamtsleiter Volker Mittmann. „Wir verstehen unser Marler Model und die aktuelle Arbeitshilfe daher als Ermutigung für alle Fachkräfte in Kindertagesstätten – in Marl und auch in anderen Städten“.

Zum Herunterladen:

Arbeitshilfe "Individuelle Sprachförderung in der Kita-Praxis"
(PDF-Dokument, 5MB)

 

Bildnachweis: Rolf Kühnast / pixelio.de

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Aus der Praxis für die Praxis: mit dem Marler Modell erreicht die Sprachförderung in den Kitas ein neue Qualität. Foto: Rolf Kühnast / pixelio.de