Pointierte Sprachkunst
Geoffrey Chaucers „Canterbury Tales“ beschreiben mit scharfsinnigem, oft reportagehaftem Blick das Leben der Menschen im Mittelalter, wie es so nicht im Geschichtsbuch steht. Bruce Wadsworth hat das Hauptwerk des mittelenglischen Dichters, der von 1342 bis 1400 lebte, ins Deutsche übertragen und schließt damit eine bedeutsame Lücke. Thomas Gimbel wird Chaucers pointierter Sprachkunst eine starke Stimme verleihen. Gimbel ist ein jahrzehntelang erfahrener Bühnendarsteller, der eine lange Liste an Theater-Engagements, ebenso Mitwirkung an vielen Fernseh- und Kinofilmproduktionen vorweisen kann, außerdem mit einem Comedy-Preis ausgezeichnet wurde.
Mittelalterliche Musik
Mit dem britischen Ensemble „Gothic Voices“ konnte eines des weltweit besten Gesangsensembles für mittelalterliche Musik gewonnen werden. Gegründet im Jahr 1980 von dem international anerkannten Mittelalterexperten Christopher Page, hat Gothic Voices inzwischen 23 CDs eingespielt und damit zur Etablierung der „Alten Musik“ bei einem großen Publikum entscheidend beigetragen. Die Debut-CD der Gothic Voices „A Feather on the Breath of God“ mit Musik der Äbtissin Hildegard von Bingen, war lange Zeit die meistverkaufte Schallplatte im Bereich vorklassischer Musik. Catherine King (Mezzosopran), Steven Harrold (Tenor), Julian Podger (Tenor) und Stephen Charlesworth (Bariton) haben für diesen Chaucer-Abend ein exklusives Programm zusammengestellt. Sie greifen dabei auf mehrstimmige Kompositionen aus dem 13. und 14. Jahrhundert zurück. Die Musik ist also speziell auf den Zeitkontext der Chaucer-Stücke abgestimmt. Die musikalische Mehrstimmigkeit steckt in dieser Epoche noch in den Kinderschuhen. „Conductus“-Gesänge oder isorhythmische Motetten auf Grundlage überlieferter Melodien und modaler Tonskalen sind noch ein sehr junges Experimentierfeld.
Bildhafte Erzählkraft
Geoffrey Chaucers lebensnahe, gerne spöttische, aber zugleich liebevolle Menschen- und Alltagsbeobachtung steht quer zur etablierten Mittelalter-Geschichtsschreibung. Bruce Wadsworth, in den USA geboren und heute im Bergischen Land lebend, ist schon sein halbes Leben lang fasziniert von Geoffrey Chaucers bildhafter Erzählkraft und von seiner sprachlichen Virtuosität, die auf Augenhöhe mit Shakespeare rangiert. Bruce Wadsworth zieht ein persönliches Fazit: „Es liest sich so, als wäre es erst gestern geschrieben worden.“ Bis heute hat Wadsworth einen Großteil der erhaltenen Chaucer-Texte mit viel intuitivem Gespür für den musikalischen Sprachfluss ins Deutsche übertragen.
Kunstvolle Versmaße
Gekleidet in kunstvolle Versmaße lebt in Chaucers Werk eine facettenreiche Bandbreite an Themen und literarischen Formen. Tiefe Reflexion und derber Humor gehen miteinander einher. Der rote Faden der Erzählung bildet eine Pilgerreise. Im allgemeinen Prolog gibt Chaucer der Vorstellung der Protagonisten sehr viel Raum. Diese präsentieren ein Panoptikum aus illustren Charakteren, die für ein sinnenfreudiges Leben stehen und mit denen Chaucer jedes Klischee eines „finsteren Mittelalters“ fröhlich zu konterkarieren weiß. Ein Gutsherr liebt das Schwelgen in sinnlichen Genüssen, ist Lebemann im besten Sinne. Da offenbart sich bei einem furchtlosen, kampferfahrenen Ritter ein sanftes Gemüt unter der stählernen Rüstung. Mit liebevoller Ironie wird die Priorin Eglentyn beschrieben, wenn sie etwa ihre Schoßhunde mit feinen Köstlichkeiten verwöhnt. Chaucer hat einen wachen Blick für die Widersprüche der Klassen- und Ständegesellschaft. Den patriarchalischen Machtstrukturen steht in Chaucers Geschichte ein starkes, emanzipiertes Frauenbild gegenüber, vor allem, wenn die erfolgreiche Geschäftsfrau von Bath alle üblichen Rollenklischees konterkariert. So manch korrupter Kleriker ist dankbare Zielscheibe für bissigen Spott. Durch einen schwunghaften Ablasshandel regierte im Mittelalter auch beim Seelenheil vor allem das Geld. Auf der erzählten Pilgerreise nach Canterbury kommt einiges in Fahrt: Es wird gesoffen, geliebt, intrigiert, geprügelt auf dieser „heiligen“ Reise. Aber in all diesen Schilderungen mit ihrem sprühenden und oft hintersinnigen Humor steckt noch viel mehr: Wie kaum ein anderer Autor im Mittelalter stellt Chaucer das Individuelle beim Menschen heraus. Sein humanistischer Blickwinkel nimmt gewissermaßen schon die Aufklärung vorweg.
Kartenverkauf ab sofort
Der Chaucer-Abend findet im Rahmen der Konzertreihe „Voices“ am Samstag, 21. September 2019, um 19.00 Uhr im Marler Theater statt. Karten sind ab sofort zum Preis von 12 Euro (ermäßigt 6 Euro) im Stadtinformationsbüro i-Punkt im Einkaufszentrum Marler Stern erhältlich (montags bis freitags von 9.30 bis 18 Uhr und samstags bis 13 Uhr, Telefon: 0 23 65/ 99 43 10).