Bewegende Gedenkfeier für die Opfer des Nationalsozialismus

|   Stadtportrait

Applaus für Rolf Abrahamsohn: Abrahamsohn, einer der wenigen Überlebende des Holocaust aus Marl, hatte bei der Gedenkfeier für die Opfer des Nationalsozialismus spontan das Wort ergriffen und zu den Jugendlichen gesprochen, die von ihrer Spurensuche in Riga berichteten.

Spontane Einladung zum Gespräch über NS-Zeit

Abrahamsohn,  gerade wieder genesen, hatte es sich nicht nehmen lassen, an der Gedenkfeier der Stadt Marl teilzunehmen. Der fast Neunzigjährige hat das Ghetto in Riga überlebt und bereicherte den Bericht der Jugendlichen mit einigen eigenen Erfahrungen.  „Als wir am 1. Februar im Ghetto ankamen, stand gefrorenes Essen auf dem Tisch. Erst später erfuhren wir, dass das Essen für die lettischen Juden bestimmt war, die im Wald von Bikernieki erschossen wurden, damit wieder Platz im Ghetto war“. Er bedankte sich bei den Jugendlichen für ihr Engagement und lud sie zu einem Gespräch über seine Erlebnisse in der NS-Zeit ein.

Bewegende Spurensuche im Ghetto von Riga

Im Oktober hatten sich acht Jugendliche bei einer Gedenkstättenfahrt nach Riga gemeinsam mit Bürgermeister Werner Arndt, Christian Grube vom Jugendkulturzentrum „KunterBuntes Chamäleon“  und der städtischen Integrationsbeauftragten Jennifer Radscheid  auf eine emotional bewegende Suche nach den Spuren der Juden gemacht , die im Januar 1942 zusammen-gepfercht in unbeheizten Güterwagen von Gelsenkirchen nach Riga deportiert worden waren, darunter die Familien Boldes und Abrahamsohn aus Marl.  Mit persönlichen Statements und einem eindrucksvollen Film berichteten sechs Teilnehmerinnen und Teilnehmer über ihre Eindrücke, die „schrecklichen Lebensbedingungen im Ghetto“ und die Gedenkstätte im Wald von Bikernieki, wo insgesamt 25.000  ermordet wurden.

"Riga wurde zum Auschwitz für westfälische Juden"

Initiator und Mitbegründer des Deutschen Riga-Komitees, das die Gedenkstätte Riga-Bikernieki unterhält, ist Winfried Nachtwei. Er schilderte in einer beeindruckenden Rede den qualvollen Alltag im Ghetto („Es war zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben“) mit unerträglichen Arbeitsbedingungen, Erschießungen. Aus dem nördlichen Ruhrgebiet seien insgesamt 938 Juden nach Riga deportiert, die dort fast alle zu Tode kamen. „Riga wurde zum Auschwitz für die westfälischen Juden“.  Die Gedenkstätte gebe den Opfern ihre Individualität zurück und spanne „ein lebendiges Band der Erinnerung“ über Nationen und Generationen hinweg. Die Gedenkstätte sei „Anstoß und Verpflichtung“, die Augen  gegen „Rassismus, Gruppenhass und Völkermord“ nicht zu verschließen.  Nachtwei: „Jeder einzelne soll seine Möglichkeiten dazu nutzen“.

"Menschenverachtende Tyrannei niemals wieder zulassen"

Zu Beginn der Gedenkfeier hatte Bürgermeister Werner Arndt im gut besetzten großen Sitzungssaal die Bedeutung der Erinnerungsarbeit herausgestellt.  „Wir wollen nicht unser Entsetzen konservieren. Wir wollen Lehren ziehen, die auch künftigen Generationen Orientierung sind“, zitierte Arndt den ehemaligen Bundespräsident Roman Herzog, der 1996 den 27. Januar – den Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz vor 70 Jahren - zum offiziellen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus bestimmt hatte. Der Gedenktag ermahne uns, „die Erinnerung aufrecht zu erhalten, nicht weg zu sehen, und eine solche menschenverachtende Tyrannei niemals wieder zuzulassen“. Arndt: „Auch folgende Generationen dürfen nie vergessen, wie viel Schaden und Schrecken durch Rassismus und Diskriminierung entstehen kann“. 

Nationalistische Parolen 

Dass auch heute noch Parolen mit nationalistischen und auch antisemitischen Parolen in Marl zu lesen sind, haben Schülerinnen und Schüler des ASGSG herausgearbeitet. Sie hatten, angeregt von einer internationalen Jugendbegegnung in Kreisau in Polen, politisch motivierte Schmierereien in Marl untersucht und ihre Ergebnisse in der Gedenkfeier vorgestellt.

Nachdenkliche und einfühlsame Lieder

Musikalisch begleitet wurde die Gedenkfeier von Frauen InTakt und Brigitte Braunstein am Klavier, die mit nachdenklichen und einfühlsamen Liedern zu einer bewegenden und ermutigenden Gedenkfeier bei.  Vor der Gedenkfeier hatten Pfarrer Ulrich Walter und Pfarrer Herbert Roth einen ökumenischen Gottesdienst gestaltet.

Spende für Gedenkstätte Riga-Bikernieki

 Eine Spendensammlung  zur Pflege und Unterhaltung der Gräber- und Gedenkstätte Riga-Bikernieki erbrachte gestern einen Betrag von 151,50 Euro, den Bürgermeister Werner Arndt auf 200 Euro aufstockte.

Zurück

Rolf Abrahamsohn ergriff bei der Gedenkfeier spontan das Wort

und dankte den Jugendlichen, die sich in Riga auf die Suche nach den Spuren der Marler Juden begeben hatten.

Winfried Nachwei schilderte den qualvollen Alltag im Rigaer Ghetto und berichete über das Engagement des Riga-Kommitees.

Mit einfühlsamen Liedern trug FrauenInTakt zu einer bewegenden und ermutigenden Gedenkfeier bei.